für Eltern

Eltern von Kindern mit seltenen Stoffwechselkrankheiten sind im Alltag mit grossen organisatorischen und erzieherischen Herausforderungen konfrontiert. Klare Tagesstrukturen und regelmäßige Kontrollen helfen den Eltern dabei, die oft strikte Behandlung (z.B. Diät, Medikamente) ihrer Kinder einzuhalten. Dies kann bei den Kindern jedoch zu einem Gefühl von Fremdbestimmung und Abhängigkeit führen.

Das Erleben von Autonomie und Selbstständigkeit ist für Kinder mit seltenen Stoffwechselkrankheiten sehr wichtig. Es ist ein Baustein dafür, dass diese als Erwachsene trotz ihrer Krankheit ein möglichst selbstbestimmtes und vielseitiges Leben führen können.

Die Vereinbarung von medizinischer Behandlung und kindlicher Autonomie mag für Eltern eine sehr große Herausforderung sein. Oft kann beides jedoch mit kleinen Veränderungen erreicht werden.

Zum Beispiel ist der möglichst frühe Einbezug der Kinder in die Behandlungsplanung (z.B.  Diät) sehr hilfreich. Dies vermittelt Kindern einerseits Wissen, andererseits gibt es ihnen das wertvolle Gefühl, Kontrolle über die Behandlung und deren Erfolg zu haben.

Studien mit Diabetes-PatientInnen konnten beispielsweise zeigen, dass dieses Erleben von Kontrolle (in der Fachsprache "Locus of Control" genannt) bei den Patienten dazu führte, dass sie sich besser an die vereinbarten Behandlungsziele hielten.

2. AUTONOMIE
IM JUGENDALTER

Das Jugendalter ist häufig mit einer Ablösung von den Eltern, der Entwicklung und Festigung der eigenen Identität und dem Aufbau erster intimer Beziehungen verbunden. Häufig nimmt das Bedürfnis nach Autonomie und Selbstständigkeit bei Jugendlichen stark zu. Dies stellt für Eltern eine neue, herausfordernde Phase in der Kindererziehung dar.

Für Eltern von Kindern mit seltenen Stoffwechselkrankheiten kann der Eintritt in die Pubertät mit zusätzlichen Schwierigkeiten verbunden sein. Die Gewohnheit, seit der Geburt intensiv für das gesundheitliche Wohlergehen des Kindes verantwortlich zu sein, kann Ablösungsprozesse schwierig und schmerzhaft gestalten. Auch hier führen bereits kleine Veränderungen zu einem Erleben von mehr Autonomie und Selbständigkeit bei den Jugendlichen.

Beispielsweise können Jugendliche bei ihrem Arzt im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch private Konsultationen ohne die Eltern in Anspruch nehmen. Dies kann den Jugendlichen vermitteln, dass sie ernstgenommen und in wichtige Entscheidungen hinsichtlich ihrer Krankheit miteinbezogen werden. Dazu kommt, dass Jugendliche häufig sensible Fragen an ihren Arzt haben (z.B. zu den Themen Sexualität, Alkohol etc.), für die sie sich in Anwesenheit ihrer Eltern schämen würden.

Die privaten Arztgespräche mit Jugendlichen bedeuten nicht, dass die Eltern nicht mehr über den Krankheitsverlauf und die Behandlung ihres Kindes informiert werden. Selbstverständlich werden auch den Eltern die entsprechenden Informationen zur Verfügung gestellt.

3. INFORMIEREN VON
BETREUUNGS- UND LEHRPERSONEN

Nehmen Sie frühzeitig mit BetreuerInnen oder Lehrpersonen Kontakt auf und informieren Sie sie über die Krankheit Ihres Kindes. Dies hilft den Betreuungspersonen, sich vorzubereiten, wie sie reagieren und Ihr Kind in der Gruppe unterstützen können.

WAS SAGE ICH?

Es ist ratsam über Folgendes zu informieren:

  • Name der Krankheit
  • Mögliche Einschränkungen oder spezielle Bedürfnisse Ihres Kindes
  • Worauf sollten BetreuerInnen achten?
  • Stärken und Interessen Ihres Kindes

WIE SAGE ICH ES?

  • Kontaktieren Sie die Betreuungsperson frühzeitig mit der Bitte um  ein persönliches Gespräch. Wichtige Informationen sollten Sie schriftlich mitbringen und abgeben.
  • Nehmen Sie an Besuchstagen, Elterngesprächen etc. teil und informieren Sie sich  regelmäßig über die Situation ihres Kindes in der Gruppe.
  • Informieren Sie die Betreuungsperson, dass sie bei Beschwerden Ihres Kindes jederzeit mit Ihnen Kontakt aufnehmen soll. 

 

4. INFORMIEREN VON ANDEREN
KINDERN UND IHREN ELTERN

Manchmal ist es sinnvoll, auch andere Eltern über die Krankheit ihres Kindes zu informieren, um Vorurteilen oder Berührungsängsten vorzubeugen. 

WAS SAGE ICH? 

Überlegen Sie sich vorher, welche Informationen zur Krankheit Sie geben möchten. Es ist hilfreich, wenn Sie auch Stärken und Interessen Ihres Kindes erwähnen. So können Sie zeigen, dass ihr Kind in den meisten Dingen genauso wie andere Kinder ist. Sie können Eltern auch ermuntern bei Fragen auf Sie zuzukommen und so Offenheit signalisieren.

WIE SAGE ICH ES?

Ein Beispiel, wie Sie Lehrer oder Eltern informieren könnten: 
 „Max ist mit einer seltenen Stoffwechselkrankheit zur Welt gekommen. Die Krankheit heisst PKU. Darum muss Max auf seine Ernährung achten und darf gewisse Dinge nicht essen. Man sieht ihm seine Krankheit nicht an und er kann bis auf seine Diät alles tun was andere Kinder machen. Besonders gern spielt er Fussball.“

5. SELBSTBEWUSST MIT NEUGIERIGEN
BLICKEN UMGEHEN

Es kann sein, dass andere Kinder neugierig reagieren, andere schauen vielleicht weg. Meistens ist das nicht böse gemeint. Sie als Eltern und die Betreuungspersonen können Ihr Kind zum Beispiel darin unterstützen, über seine Krankheit Auskunft zu geben. Dies gibt ihm Selbstsicherheit in sozialen Situationen.

Sie könnne auch Ihr Kind aktiv auf neugierige Fragen vorbereiten. Wenn Sie und ihr Kind Antworten bereit haben, wirken soziale Situationen weniger bedrohlich. 
Es gibt einige Strategien, mit denen man Gespräche geschickt steuern kann.

DIE ERKLÄREN - BERUHIGEN - ABLENKEN-STRATEGIE

Erklären: Als erstes informiert man ganz kurz über die Auffälligkeit. 
Beruhigen: Dann macht man eine beruhigende Aussage.
Ablenken: Zum Schluss lenkt man das Gespräch auf ein anderes Thema.


Für jede Person fühlen sich andere Sätze natürlich an. Dazu wird man je nach Situation unterschiedliche Erklärungssätze brauchen, mal ganz kurz und ein anderes Mal ausführlicher. Es lohnt sich, einige Antworten einzuüben, bis sie sich gut anfühlen. Beispiele finden Sie hier: 

„Hallo, ich bin Jonas. Ich trage eine besondere Brille, die meine Augen gross macht. Ich kann damit aber sehr gut sehen. Sammelst Du auch Panini-Bilder?“

„Ich nehme immer mein eigenes Essen mit in die Schule, weil ich eine seltene Stoffwechselkrankheit habe. Ich darf nicht zu viel Eiweiss essen. Wenn ich das einhalte, geht es mir aber gut und ich kann alles machen was ich möchte. Gibt es auch Sachen die Du nicht essen darfst oder nicht gerne isst?“ 

„Schon seit sie ein Baby war ist Yara kleiner als andere Kinder, deswegen ist  das für sie ganz normal. Yara fährt am liebsten mit ihrem Fahrrad umher. Fährst Du auch Fahrrad?“

„Daniel fährt einen Rollstuhl, weil er nicht gut laufen kann. Mit dem Rollstuhl ist er aber ziemlich schnell unterwegs!  Komm, wir fragen ihn mal, ob er mit dir dieses Spiel spielen möchte.“

„Wenn jemand fragt, Du aber gerade keine Lust zum Reden hast: „Das ist nett, dass Du nachfragst. Ich mag gerade nicht lange darüber reden, erkläre es Dir aber gern ein anderes Mal“.

 

6. TIPPS, WENN IHR KIND EINE BEHANDLUNG
EINHALTEN MUSS

Bei vielen Stoffwechselkrankheiten müssen Behandlungen eingehalten werden. Einige Kinder müssen Medikamente nehmen, andere dürfen nur gewisse Nahrungsmittel essen oder / und müssen regelmäßig zu Hause Blutentnahmen machen. Das kann kräftezehrend sein, für Kind und Eltern. Einige Ideen, die Ihnen da vielleicht helfen können:

  • Versuchen Sie ihr Kind altersgerecht in die Behandlung mit einzubeziehen.  Erklären Sie ihm warum es gewisse Sachen nicht essen darf oder Medikamente einnehmen muss. 
  • Probieren Sie ihrem Kind auch Kontrolle über die Behandlung zu geben. Vielleicht darf es aussuchen, an welchem Wochentag oder an welchem Finger die wöchentliche Blutentnahme gemacht wird? Oder es darf zwischendurch aussuchen, was es von zwei Alternativen am liebsten essen mag?
  • Falls ihr Kind eine Diät einhalten muss: Kochen Sie zwischendurch zusammen, so lernt ihr Kind mit der Diät umzugehen.
  • Klären Sie das soziale Umfeld des Kindes (Familie, Freunde, Schule) über die Krankheit und Behandlung auf, damit ihr Kind auch da Unterstützung erfährt.
  • Wenn es ganz schwierig wird die Behandlung einzuhalten, dann sprechen Sie mit Ihrem Behandlungsteam. Ärzte, Ernährungsberater und Psychologen können Sie unterstützen.

7. REISEN

Jeder liebt Ferien – 
schön, dass Sie mit Ihrem Kind Ferien planen! 
Hier finden Sie einige Ideen, die helfen, die Ferien sorgloser zu verbringen. 
Planung ist alles – 
also nehmen Sie sich Zeit für die folgenden Schritte:

  • Fragen Sie das Stoffwechselteam Ihres Kindes, ob es bestimmte Urlaubsorte oder -aktivitäten gibt, die nicht geeignet sind!
  • Zum Fliegen brauchen Sie vielleicht eine Bestätigung, dass die Medikamente / Diätmittel ins Handgepäck gehören. Bitte das Stoffwechselteam zeitgerecht um eine entsprechende Bestätigung fragen. (siehe pdf zum Ausdrucken und Ausfüllen weiter unten)
  • Wie kompliziert und anstrengend muss eine Reise sein? Bedenken Sie: Wenn die Reise viele Umsteigestationen hat und lange dauert wird es anstrengend, Medikamente und vielleicht spezielle Mahlzeiten müssen eingenommen werden – ist alles im Handgepäck vorbereitet? Bitte immer an eine Reserve denken. Der Flug kann sich verspäten, etwas kann dazwischenkommen …
  • Vielleicht kann man die Reise geruhsamer gestalten?  Eine Übernachtung mehreinplanen? Längere Umsteigezeiten? ...?
  • Unbedingt vor der Reise mit dem Stoffwechselteam darüber sprechen, welche Krankenhäuser in der Nähe des Urlaubsortes für den Notfall zur Verfügung stehen. Suchen Sie die Adresse und eventuelle Ansprechpartner heraus und recherchieren Sie die Anfahrt – im Notfall reduziert dies den Stress!
  • Therapie am Urlaubsort? Dies muss mit mehreren Monaten Vorlauf organisiert werden, bitte frühzeitig mit dem Stoffwechselteam absprechen!
  • Wir empfehlen eine Stornoversicherung und eine Reiserückholversicherung (nur für den Fall…)

Nicht vergessen – 
das muss ins Gepäck!

  • Medikamente und Diätmittel gehören immer ins Gepäck und beim Fliegen ins  Handgepäck – immer an eine Reserve denken, nicht zu knapp kalkulieren!
  • Die Liste mit den Namen und Dosisangaben der Medikamente und Diätmittel gehört wie der Reisepass in die Brieftasche! (siehe Notfallausweis zum Ausdrucken und Ausfüllen weiter unten)
  • Haben Sie das Notfallblatt ausgefüllt (siehe unten) Unbedingt mitnehmen! 
    Vielleicht muss es übersetzt werden, wenn es ins Ausland geht? Bitte zeitgerecht das  Stoffwechselteam darum bitten!
  • Die Kontaktadresse des Stoffwechselteams! 

Stillen

Können Babys mit angeborenen Stoffwechselkrankheiten gestillt werden?

Stillen bzw. die Ernährung mit Muttermilch ist für die erste Phase im Leben eines Menschen sehr wertvoll. Kinder mit angeborenen Stoffwechselkrankheiten und deren Mütter profitieren davon, denn das Stillen hat viele Vorteile für die Entwicklung und das Gedeihen des Kindes. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt das Stillen.

Muttermilch enthält nicht nur die an das Baby angepassten Nährstoffe, sondern auch z.B. Verdauungsenzyme und Immunstoffe. Daher ist es günstig, wenn Kinder mit angeborenen Stoffwechselkrankheiten gestillt werden können. Bei manchen angeborenen Stoffwechselkrankheiten ist eine Diät der wesentlichste Teil der Behandlung. Oft muss die Zufuhr von Eiweiß oder Fett begrenzt werden, so dass Stillen allein nicht ausreicht, teilstillen aber sehr gut möglich ist. Meistens kann je nach Vorgabe etwa die Hälfte der Nahrung als Muttermilch gegeben werden, der Rest mit einem Fläschchen (mit einer Flaschennahrung, die für die jeweilige Stoffwechselkrankheit geeignet ist). Bei Phenylketonurie (PKU) z.B. enthält die spezielle Flaschennahrung KEIN Phenylalanin.

Die einzige angeborene Stoffwechselkrankheit, bei der auch diese teilweise Ernährung mit Muttermilch nicht möglich ist, ist die klassische Galaktosämie, bei der Galaktose (Milchzucker) gar nicht abgebaut werden kann.

Praktischer Ablauf

Das Teil-Stillen kann über den Tag verteilt verschieden gestaltet werden:

 

1. Stillen abwechselnd mit der entsprechenden Flaschennahrung.
Also – eine Mahlzeit stillen, die nächste Flaschennahrung, dann wieder stillen, usw.

2. Eine bestimmte Menge der speziellen Flaschennahrung vor dem Stillen, dann stillen.
Also – zuerst geben Sie Ihrem Baby mit der Flasche die vorgegebene Menge an spezieller Flaschennahrung, dann stillen Sie, bis Ihr Baby satt ist.

3. Stillen mit dem Brusternährungsset (Link zum Set).
Das Baby kann während des Stillens zusätzlich zur Muttermilch die vorgegebene Menge an spezieller Flaschennahrung trinken. –  Und zwar über einen dünnen Schlauch, der an der Brustwarze angeklebt wird. Der Vorteil dabei: die Verwendung einer Flasche zum Füttern ist nicht nötig.

4. Füttern per Flasche mit abgepumpter Muttermilch, der die anderen notwendigen Nahrungsergänzungen beigemengt werden.

Bitte besprechen Sie mit dem behandelnden Stoffwechselteam, welche Art der Ernährung für Sie und Ihr Baby am besten passt. Das Stoffwechselteam wird Sie schrittweise begleiten und die Ernährung Ihren Bedürfnissen und denen Ihres Kindes anpassen!